Verdener Familienforscher e.V.
  Verdener Familienforscher e.V. Z u f a l l s f u n d e
ein Projekt der Verdener Familienforscher e.V.

.
55728
Zurück Zur Startseite
   

Der Deutsche Correspondent, 25.10.1907, Seite 8
Von See und Hafen.
Dampfer "Rhein" heute Morgen an seinem Pier in Locust-Point.- Durchgebrannte Frau mit jugendlichem Liebhaber an Bord. Der betrogene Ehemann hat per Kabel verziehen.- ...
Heute Vormittag um 7 Uhr wird der Norddeutsche Loyd-Dampfer "Rhein," welcher am Mittwoch Nachmittag um 2 Uhr von New-York abfuhr und gestern Vormittag um 10 Uhr Cape Henry passirte, mit 111 Kajüten- und 1220 Zwischendecks-Passagieren an seinem Pier in Locust-Point anlegen. Der Dampfer hatte ursprünglich 485 Kajüten- und 1882 Zwischendecks-Passagiere an Bord, der größte Theil derselben wurde jedoch bereits in New-York gelandet. Unter den Kajüten-Passagieren, welche nach Baltimore kommen, befindet sich ein interessantes Pärchen, das bewis, daß man auch in deutschen Landen etwas von "Affinitäten" weiß, wenn man ihnen auch dort einen anderen Namen giebt. Es waren Frau Elisabeth Hesse, die ungeschiedene Gattin eines Postamtssekretärs in Friedenau bei Berlin, eine ganz ansehnliche Frau in der Mitte der Dreißiger, und der erst 22 Jahre alte Hans Nachtigall, der ungefähr wie der Sohn der Frau Hesse aussieht, aber mit ihr von Berlin aus nach dem gelobten Lande der Freiheit durchgebrannt ist. Schon vor einigen Tagen lief in New-York von dem Manne der Frau Hesse per Kabel das Ersuchen ein, ihm seine bessere Hälfte auf seine Kosten zurück zu senden, dieselbe jedoch mit aller erdenklichen Rücksicht zu behandeln. Frau Hesse und Nachtigall gaben sich auf dem Schiffe als Brüderlein und Schwesterlein aus, um das stetige Beisammensein am Tage unauffällig erscheinen zu lassen. Die beiden Durchbrenner waren bei der Ankunft in New-York sichtlich unangenehm berührt, daß sie sich entdeckt sahen, ließen sich aber doch ganz freimüthig zu näheren Auskünften herbei. Nachigall ist gerade erst vom Militär mit dem Unteroffiziers-Range entlassen worden. Er hat bei den Elisabethern in Berlin sein Jahr abgedient. Er ist 22 Jahre alt, seine "Wahlverwandtschaft" 34 Jahre.
Auf die in New-York an sie gerichteten Fragen erklärte Frau Hesse: "Ich kehre unter keiner Bedingung zu meinem Gatten zurück, lieber springe ich sofort über Bord. Warum ich fortgegangen bin ? Ich konnte es nicht mehr ertragen. Mein Mann war derart eifersüchtig und jähzornig, daß ich es nicht mehr aushalten konnte. Ich war schon einmal vorher drei Monate von ihm fort; damals lebte aber unser Kind noch, und so bin ich diesem zu Liebe damals wieder zu ihm zurückgekehrt. Jetzt ging es aber nicht mehr, trotzdem wir 14 Jahre verheirathet waren.
"Nein, es ging wirklich nicht mehr," meinte Nachtigall. "Ich kenne die Verhältnisse ganz genau. Es war die Hölle für die Frau. Meine Eltern verkehrten mit Hesse. s, und so lernten wir uns kennen. Wir kennen uns übrigens sehr lange schon. Hesse will ja seine Frau wieder zu sich nehmen. An der Quarantäne hat sie ein langes Kabelgramm von ihm bekommen."
Hier unterbrach sich Nachtigall plötzlich; es mochte ihm wohl der Gedanke gekommen sein, dasß er besser schweige. Und so steckte er die interssante Depesche wieder ein. Auch er hat von seinen Eltern ein Kabelgramm bekommen, ebenso war der Capitän von den Eltern des jungen Mannes benachrichtigt worden.
Wollten sich hier eine Farm kaufen.
Das Paar war reichlich mit Geldmitteln versehen. Frau Hesse versicherte, daß sie nicht die kleinste Summe von ihrem Manne genommen habe, sondern alles ihr eigenes Geld sei. Auch habe sie Hypotheken in Höhe von 27,000 Mark in Deutschland gekündigt, deren Betrag ihr im nächsten April zufalle. Auf die Frage, wie sie sich hier in Amerika ihr Leben gedacht hätten, erwiderte Nachtigall: "O, wir wollen uns eine klein Farm kaufen, um in Ruhe und Frieden leben zu können. Ich war drüben allerdings Polizei-Offiziers-Anwärter, aber ich denke mir, es wird hier auch so gehen."
Und der Altersunterschied zwischen Ihnen und der Frau Hesse ? Erscheint er Ihnen nicht zu groß ? - Worauf Nachtigall ganz vergnügt antwortete: "Ich stoße mich nicht daran !"
Wird wahrscheinlich zurückgeschickt.
Das deutsche Generalkonsulat in New-York stellte das Ersuchen, daß das Paar nach Ellis Island gebracht werde; da die Fahrkarten desselben aber für Baltimore ausgestellt waren, blieb dasselbe auf dem Dampfer und hat sich somit die hiesige Einwanderungs-Behörde mit dem Fall zu befassen. Wahrscheinlich wird die Frau zurück gesandt werden, während der junge Mann, wenn sonst nichts gegen denselben vorliegt, jedenfalls landen darf.
 
 
Fundort: Baltimore
Quelle: Der Deutsche Correspondent, 25.10.1907, Seite 8
Einsteller: Rainer Doerry  Mail

Kommentare zu dieser Website bitte an:
die Verdener Familienforscher
Impressum       juristisches