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Ferdinand Schmidt ein bewegtes Leben
von Axel Eggersglüß
Mein Großvater
Eine immer wiederkehrende Erinnerung an meinen Großvater mütterlicherseits,
Ferdinand Schmidt, ist das gemeinsame Frühstück unter einer großen
Eiche auf unserem Gut Allerhop: Nur wir zwei genossen an warmen Sommertagen
frisch gebackenes Brot mit Butter und aromatischem Heidehonig.
F. Schmidt und A. Eggersglüß beim Frühstück auf Gut Allerhop
(Quelle: Axel Eggersglüß)
Das Gut Allerhop, auch mein Geburtsort, liegt in der Lüneburger Heide nahe
der Stadt Bad Fallingbostel.
Knapp siebzig Jahre sind seit jener Zeit vergangen, ich war damals ein kleiner
Junge, der bald eingeschult werden sollte. Damals konnte ich noch nicht
ermessen, was für ein außergewöhnlicher Mensch mein Großvater war, mit
seinem großen Ideenreichtum und Erfindergeist. Neben dem technischen
Verstand zeugte seine respektvolle und großzügige Art seinen Mitmenschen
gegenüber von einer positiven und empathischen Lebenseinstellung.
Familie und Ausbildung
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Vor dem ersten Weltkrieg:
Ferdinand Schmidt mit einer Freundin am Berliner Wannsee (Quelle: Axel Eggersglüß)
| Familie Schmidt von links: Ferdinand Schmidt, Sohn Hans,
Tochter Eva Marie, Ehefrau Margarethe, Vater Ferdinand, Mutter Lucie Ende
der Zwanziger Jahre (Quelle: Axel Eggersglüß)
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Jürgen Johann Ferdinand Schmidt wurde am 29. Juli 1894 in Verden/Aller
geboren, er war der einzige Sohn und hatte drei ältere Schwestern.
Für seine Eltern Ferdinand und Margarethe Schmidt war er stets nur der Ferdinand.
Sein Vater gründete 1877 in der Oberen Straße einen Schlosserbetrieb.1
Später zog die Firma in die Marienstraße 3 um und es gehörten zum Angebot die Erstellung
von Zentralheizungen, Wasserversorgungsanlagen, Brunnenbau, Maschinenreparaturen jeder Art,
Dreherei und Zahnradfräserei. Auf dem gleichen Grundstück wohnte die Familie in dem zweigeschossigen
geräumigen Haus mit Wintergarten und mehreren Wohnungen. Im Erdgeschoss befanden
sich die Büros. Nach dem Schulbesuch 2 zog Ferdinand Schmidt nach Berlin-
Charlottenburg und begann dort an der Technischen Hochschule sein Studium, dazu
praktizierte er bei der Firma Bechem und Post. Später schloss er seine Ausbildung
zum Ingenieur und Kaufmann ab.
Ferdinand Schmidt als Soldat im Ersten Weltkrieg
Ausführlich berichtete er im Vorwort seines Kriegstagebuches, wie er als
Zwanzigjähriger die politischen Ereignisse im Sommer 1914 nach der
Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand von Österreich am 28. Juni
1914 in Sarajevo aufmerksam verfolgte. Für ihn stand bei Bekanntgabe
der Mobilmachung außer Frage, sich freiwillig sofort zum Kriegsdienst zu
melden.
Dies ist nachzulesen in seinem Kriegstagebuch, in dem er die vier Jahre als
Soldat akribisch aufzeichnete und mit vielen Fotos belegte.3
Er schrieb, dass die Bekanntgabe der Mobilmachung am 31. Juli 1914 die
„ungeheure Spannung in uns“ in eine „alles überwältigende Begeisterung“
Ferdinand Schmidt bei der Fernmeldetruppe in Frankreich: Pause
mit zerschossenem, aber fahrbereitem Auto
(Quelle: Axel Eggersglüß)
aufgelöst habe. Sofort meldete er sich freiwillig, eine Einberufung gelang
erst einige Wochen später.
Seine Ausbildung zum Fernmelder absolvierte er in Munsterlager in der Lüneburger
Heide. Anschließend wurde er erst für knapp zwei Monate an die
Westfront nach Frankreich und ab November 1914 für zwei Jahre an die
Ostfront nach Polen kommandiert.
Anschaulich schilderte er sein Leben als Soldat in dieser Zeit: In Polen war
das Leben der Soldaten sehr anstrengend. Sie mussten die Fernsprechleitungen
unter widrigsten Umständen bauen und, wenn Störungen auftraten,
reparieren. Dies geschah häufig bei schlechten Wetterverhältnissen, eisiger
Kälte im Winter, matschigen und fast unpassierbaren Straßen im Frühjahr
und Herbst. Oft wurden sie dabei von den feindlichen Russen beschossen.
Ferdinand Schmidt wurde aber während der gesamten Kriegszeit nicht verwundet.
Am 7. August 1915 mussten die Soldaten wieder einmal „ihre Nasen ins
Gras stecken“, weil der Feind sie unter Feuer nahm. Dabei entdeckte er ein
vierblättriges Kleeblatt, welches ihn unter seinem Uhrdeckel versteckt den
ganzen Krieg über begleitete. Er schrieb, dass ihm dieses sicher Glück gebracht
habe.
Sein Talent, mit Maschinen umzugehen und technische Zeichnungen anzufertigen,
kam ihm auch während des Krieges zugute. Oft musste bei Bauaufträgen
für die Leitungen zwischen den einzelnen Einheiten improvisiert werden,
weil das eine oder andere benötigte Teil nicht zur Verfügung stand oder
defekt war. Die Fernsprechverbindungen zwischen den einzelnen Einheiten
mussten anschließend in einer Skizze anschaulich dargestellt werden, was
er hervorragend bewerkstelligte. Beispiele finden sich im Originaltagebuch.
Mehrmals traf er im Laufe der Kriegsjahre Bekannte aus der Heimat, so traf
er Carl Müller, Ludwig Artzt aus Hönisch, seinen Vetter Jean Bornemann,
seinen guten Kameraden Willi Rüger und einige andere. Die Freude war auf
beiden Seiten immer groß, konnte man doch Nachrichten aus der Heimat
austauschen. Post von der Familie bekamen die Soldaten, es dauerte nur etwas
länger, bis sie ankam.
An der Ostfront in den Jahren 1914 bis 1916 hatte er mehr Zeit zum Schreiben
gefunden, aber weniger fotografiert. Dies änderte sich nach seiner
Kommandierung an die Westfront. Ab Herbst 1916 bis zum Kriegsende im
November 1918 war er in Frankreich Soldat.
Anfang 1917 war er zum Leutnant der Reserve befördert worden und trug
nun die Verantwortung als Zugführer für einen Bauzug, es waren über 50
Soldaten. Er verfasste jetzt mehr zusammenhängende Texte in seinem Tagebuch
und nahm jede Gelegenheit wahr, interessante Motive zu fotografieren.
So entstanden Fotos von Luftkämpfen der Staffel Richthofen, von
englischen Tanks und auch Hindenburg kam vor seine Kamera.
Bei seiner Tätigkeit als Zugführer musste er mit seinem Auto viele Strecken
bewältigen, um den Bau der Fernsprechleitungen zu kontrollieren und Material
zu den Soldaten zu bringen.
Am 29. November 1918, nachdem er seinen Zug wohlbehalten nach Deutschland
geführt hatte, konnte er abschließend in Verden schreiben: „Der Krieg
war für mich zu Ende."
Sein Tagebuch wurde mit über 250 Seiten Text und mehr als 350 Fotos ein
sehr anschauliches und umfangreiches Werk.
Im späteren Leben musste Ferdinand Schmidt nur einmal 1936 zu einer dreiwöchigen
Reserveübung nach München. Im Zweiten Weltkrieg war er als
Firmenleiter unabkömmlich und wurde nicht mehr als Soldat eingezogen.
Heirat und beruflicher Werdegang
1919 trat er in das Geschäft seines Vaters ein. Neben dem Maschinenbau und
der Wartung von Anlagen stellte die Firma auch Zigarrenkisten aus Messing,
Messingteller und auch Rauchtischchen her. Sie waren als Geschenke sehr
beliebt.
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Ferdinand Schmidt ca 1918 in der Wohnung Marienstraße 3 in Verden (Quelle: Axel Eggersglüß)
| Margarethe und Ferdinand ca. 1924
(Quelle: Axel Eggersglüß)
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Am 24. Juni 1919 heiratete er Margarethe Wohlgemuth, geboren am 5. März 1897, eine
Tochter des Bergwerkdirektors Richard Wohlgemuth. Sie bekamen zwei Kinder, am 11. Mai
1920 den Sohn Hans (gefallen am 24.9.1942) und am 10. Mai 1922 die Tochter Eva Marie (verstorben
am 12.5.2009).
Im Jahr 1925 übernahm er die Leitung der Firma Defu (Deutsche
Futterkonservierungsgesellschaft) in Verden in der Marienstraße3. Sie stellte vor dem
Zweiten Weltkrieg hauptsächlich Grünfuttersilos für die Einsäuerung von Grünfutter und Kartoffeln her.
Es gab außer der Hauptstelle in Verden weitere Zweigstellen in Berlin, Prag,
Ostpreußen und Mecklenburg mit insgesamt etwa 120 Mitarbeitern. Vertreter
besuchten die Landwirte und schlossen mit ihnen Verträge ab. Daraufhin
reisten Bautrupps zu den jeweiligen Bauernhöfen und errichteten dort die
Silos.
Politische Sichtweise und Verhalten als Mensch und Firmenchef
Seiner konservativen politischen Haltung treu bleibend, trat Ferdinand
Schmidt in den unruhigen Jahren ab 1919 einer Einwohnerwehr in Verden
bei.4 Dieser Entschluss richtete sich vor allen Dingen gegen die radikale politische
Entwicklung in Bremen, wo sich eine Räteregierung gebildet hatte. 5
Diese Räte waren für ihn eine Ursache für Deutschlands „Ehr- und Wehrlosigkeit“.
Bei der Rückkehr mit den ihm unterstellten Soldaten aus Frankreich
hatte es mehrmals Schwierigkeiten mit „roten Soldatenräten“ gegeben. Die
„Roten“ waren für ihn in dieser Zeit die Hauptschuldigen an der Misere in
Deutschland. Die Generäle Ludendorff und Hindenburg hingegen wurden
glorifiziert, ihr Andenken immer hochgehalten.
Anfang des Jahres 1921 trat er in den „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“
ein, deren Vorsitzender er im Jahr 1924 wurde, später im Jahr 1924 musste er
aber den Vorsitz aus geschäftlichen Gründen abgeben. Doch nahm er bis Juli
1933 an den großen Veranstaltungen, den Stahlhelmtagen, teil.
In Verden kam es vor allen Dingen in den Jahren 1923/1924 zu Auseinandersetzungen
mit den „Kommunisten und Spartakisten“, die überwiegend aus
Bremen kamen. Es gab sicher gefährliche Situationen, weil die Stahlhelmer
über zahlreiche Waffen verfügten, die in versteckten Depots gelagert wurden.
Doch erfreulicherweise gab es keine bewaffneten Auseinandersetzungen,
es blieb bei wenigen körperlichen Gewalttaten.
1927 wurde er Mitglied der Freimaurerbewegung. Er war damit Mitglied der
„Johannis – Loge Maria zum Rautenkranz“, diese traf sich im Hotel Rautenkranz
in der Ostertorstr. 3 in Verden.
Die Teilnahme an diesen Versammlungen muss seine bis dahin doch radikal
negative politische Meinung dem Weimarer Staat gegenüber beeinflusst haben.
Er blieb sein Leben lang ein konservativ eingestellter Mensch, änderte
aber sein Verhalten politisch andersdenkenden Menschen gegenüber.
Das zeigte sich in seinem Verhalten nach der Machtergreifung Adolf Hitlers
1933.
Nun handelte er im Sinne von Menschlichkeit und half Bekannten und Angestellten
seiner Firma, die denunziert wurden und existenzielle Schwierigkeiten
durch die NSDAP erfuhren. Auch sein Verhältnis zur Partei, der er nie
angehörte, war nicht ohne Probleme. So wurde seine Firma zum Beispiel
1938 von der Kreisleitung der NSDAP aufgefordert, nicht weiter mit „Juden“
Geschäftsbeziehungen zu unterhalten.
1935 hatte die Firma Defu an dem Aufmarsch zum 1. Mai in Verden teilgenommen.
Dies schien eine Ausnahme gewesen zu sein, was das Leumundszeugnis
vom 8. August 1946 von Herrn Alex Blüthner (Angestellter bei der Defu)
für Ferdinand Schmidt beweist. Dort steht: „An den vielen Kundgebungen,
welche von den Betrieben geschlossen besucht werden mussten, nahmen wir
nicht teil, obwohl sehr oft Beschwerden über die mangelhafte Beteiligung
der Firma einliefen.“
Nur einmal, Anfang des Jahres 1942, leistete Ferdinand Schmidt eine Zahlung
von 100 Reichsmark an die SS. Für die DAF (Deutsche Arbeitsfront)
stellte er 1943 seine Zahlungen ein.
Parteimitglieder gab es in der Defu etwa sieben bis acht Personen von ca.
120 Arbeitnehmern. Die offizielle Begrüßung „Heil Hitler“ war nach Aussage
von dem Defu – Mitarbeiter Herrn Alex Blüthner „mit wenigen Ausnahmen
ein unbekanntes Wort innerhalb der Belegschaft“.
Einerseits war Ferdinand Schmidt als Firmeninhaber auf das Wohlwollen
von Seiten der Partei angewiesen, wollte er nicht weitergehende Restriktionen
riskieren. Andererseits lag ihm das Wohlergehen seiner Mitarbeiter sehr
am Herzen. Trotz seiner früheren Antipathien gegenüber „Linken“ stellte er
doch SPD–Mitglieder ein und versuchte sie vor Angriffen seitens der NSDAP
zu schützen.
Hierfür sei als Beleg der Fall der Familie Schäfer angeführt.
Wilhelm Schäfer verlor 1942 seine Stellung bei der Sparkasse in Verden,
weil seine Frau Berta denunziert worden war, „Feindsender“ gehört zu haben
und zersetzende Behauptungen geäußert zu haben. Daraufhin wurde sie zu
fünf Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust verurteilt. Die Radiosendungen
hatte sie oft zusammen mit Margarethe Schmidt, der Frau von Ferdinand
Schmidt, gehört. Während der Inhaftierung von Frau Schäfer wurde
die Post zwischen ihr und ihrem Mann verbotenerweise über die Firma Defu
weitergeleitet. Herr Schäfer wurde in der Defu eingestellt und zum Schlosser
ausgebildet, was seine Einberufung zum Kriegsdienst verhinderte.
Bei dem Betrieb in Verden und auch auf dem Gut Allerhop waren ausländische
Arbeitnehmer beschäftigt. Sie wurden „nachweislich stets anständig
behandelt“, wie Ferdinand Schmidt in seinem „Entwurf an den Denazifizierungsausschuß
Verden“ schreibt. Es gibt die Bescheinigung eines polnischen
Arbeiters, der am 18. Mai 1945 schrieb: „Herr Ferdinand Schmidt, der Besitzer
des Anwesens Allerhop, war ein durchweg gerechter und wohlgesonnener
Arbeitgeber. Außerdem erwies er sich als fürsorglicher Betreuer, der
nicht zuließ, daß den Unterdrückten Schaden zugefügt wurde.“ (Übersetzung
aus dem Polnischen)
Der polnischen Familie Fuhrmann half Ferdinand Schmidt 1945, ihren fünfjährigen
Sohn zu sich zu holen. Dieser war mit den Großeltern in die Trierer
Gegend gebracht worden. Ferdinand Schmidt schickte seinen Lagerarbeiter
Aschoff dorthin, obwohl dort die Front schon sehr nahe war. Dieser brachte
dann das Kind nach einigen Tagen nach Verden, wo es zu seiner Familie kam.
Im August 1947 wurde dann ein Entlastungszeugnis von dem Entnazifizierungsausschuss
in Verden für Ferdinand Schmidt ausgestellt.
Freund und Mäzen Carl Busch
In Berlin musste Ferdinand Schmidt mit dem Industriellen Carl Busch Bekanntschaft
geschlossen haben, wann genau, spätestens Anfang der Zwanziger Jahre, und bei welcher Gelegenheit
lässt sich leider nicht mehr
herausfinden.
Carl Busch
(Quelle: Axel Eggersglüß)
Herr Busch war sehr vermögend und unter anderem Mitinhaber der bedeutenden
Waggonbaufabrik Linke/Hofmann/Busch in Breslau und Bautzen, auch besaß er Mietshäuser in Berlin.
Im Jahre 1919 kaufte er das Gut Allerhop in der Gemeinde Mengebostel,
nahe Bad Fallingbostel. Carl Busch investierte viel und kaufte Land hinzu,
ließ Gebäude errichten und baute das „Herrenhaus“ aus. Zudem ließ er
einen Park mit Fischteichen und ausgemauerten Sitzecken errichten und
stellte Denkmäler auf. Mit Geld- und Sachspenden unterstützte er die Gemeinde
Mengebostel unter anderem großzügig bei Straßenbauarbeiten, setzte sich für die
dortige Schule ein und stiftete z. B. viele Bücher zum Aufbau
einer Bibliothek sowie ein Filmvorführgerät.
Auch für meinen Großvater Ferdinand Schmidt wurde Carl Busch ein enger
Vertrauter und großzügiger Mäzen. Er unterstützte und finanzierte die Versuche
auf Gut Allerhop bis zu seinem Tod 1942. Diese hatten das Ziel, in der
Landwirtschaft durch Maschineneinsatz Menschenkraft einzusparen und die
Erträge durch verbesserte Düngung zu steigern.
1942 war ein schicksalhaftes Jahr für Ferdinand Schmidt. Am 27. Februar
1942 starb auf Gut Allerhop sein Freund Carl Busch, er wurde in Dorfmark,
dem Nachbarort, beigesetzt.
Carl Busch hatte Ferdinand Schmidt zu seinem Alleinerben eingesetzt, da er
kinderlos und nicht verheiratet war. Die Neffen von Busch waren Mitglieder
der SS und wussten von der Mitgliedschaft Ferdinand Schmidts bei den
Freimaurern. Sie drohten ihn bei der Gestapo anzuzeigen, wenn er nicht auf
sein Erbe verzichten würde. Weil Ferdinand Schmidt schon Auseinandersetzungen
mit der NSDAP hatte, dachte er, keine andere Wahl zu haben und
verzichtete. Nur die Anteile von Carl Busch an der Firma Defu und das Gut
Allerhop konnte er behalten.
Ein zweiter Schicksalsschlag traf die Familie Schmidt wohl noch härter, denn
am 24. September 1942 fiel der einzige Sohn Hans, er erlag seinen schweren
Verletzungen in einem Lazarett in der Nähe von Woronesch/Russland.
Hans war das Lieblingskind von Ferdinands Frau Margarethe und sie kam
niemals über diesen Verlust hinweg.
Neue Wege mit Bihugas
Ferdinand Schmidts Tochter Eva Marie heiratete am 24.Juni 1944 Walter
Eggersglüß, einen Landwirtssohn aus dem nahen Mengebostel. (Auf Anraten
ihres Vaters ging sie diese Ehe ein, weil ein Chemiker ein Gewinn für
die Firma bedeutete.) Dr. Walter Eggersglüß, ein promovierter Chemiker,
arbeitete während des 2. Weltkrieges bei den Hermann–Göring–Werken in
Braunschweig–Völkenrode an der Entwicklung von festem Treibstoff für
Raketen und war nach dem Krieg für zwei Jahre in Farnborough (England).
Nach seinem Aufenthalt in England stieg Walter Eggersglüß als Geschäftsführer
in die Defu ein und leitete sie zusammen mit Ferdinand Schmidt bis
zu dessen Tod.
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links Dr. Walter Eggersglüß, rechts F. Schmidt
1951 vor der Bihugasanlage Gut Allerhop (Quelle: Axel Eggersglüß)
| links Dr. Walter Eggersglüß, neben ihm
F. Schmidt, bei dem Bihugas betriebenen Traktor, Gut Allerhop, Anfang der Fünfziger Jahre
(Quelle: Axel Eggersglüß)
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Ferdinand Schmidt und Walter Eggersglüß entwickelten das Prinzip, Faulgase zur Energiegewinnung
von landwirtschaftlichen Abfallstoffen zu nutzen. Auf Gut Allerhop fanden sie ideale Bedingungen,
ihre Forschungen fortzusetzen und das erste biologische Humusgaswerk in Deutschland,
von ihnen Bihugas–Werk genannt, zu errichten.
Auch die „Landwirtschaftskammer und das Landesernährungsamt“
in Hannover betrachteten bereits im Januar 1947 das Gut
Allerhop als mustergültigen Beispielbetrieb und unterstrichen die
„gerade für die jetzige Zeit“ große Bedeutung.
Eine Tagung Mai 1947 in Ludwigsburg mit dem Thema „Gewinnung von
hochwertigem Humusdünger und damit verbundene Gaserzeugung“ machte
das Thema Bihugas in landwirtschaftlichen Kreisen weithin bekannt.
Das Bihugaswerk in Gut Allerhop wurde 1948 in Betrieb genommen.
Ein filmischer Beitrag illustriert dies sehr anschaulich, es handelt sich hierbei
um die „Welt im Film Nr. 213“ vom 24. Juni 1949.6 Auch ein Spiegel-
Artikel des Jahres 1949 berichtet davon.
In den nächsten Jahren wurden von Ferdinand Schmidt und Dr. Walter Eggersglüß
zahlreiche Besuchergruppen über das Gelände der Bihugasanlage
in Allerhop geführt.
Insgesamt wurden damals in Deutschland ca. ein Dutzend solcher Anlagen
von der Defu erbaut, die jahrzehntelang nahezu reibungslos funktionierten.
Hier sei als ein Beispiel die Bihugas-Anlage angeführt, die beim Kloster
Benediktbeuren (Bayern) jahrzehntelang störungsfrei lief.
Die auf dem gesamten Gut Allerhop benötigte Energie wurde vollständig
durch das Bihugaswerk abgedeckt wie z. B. die Heizungen und die Küche.
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Rückfront Gut Allerhop, Ende der Vierziger Jahre,
rechts das Herrenhaus (Quelle: Axel Eggersglüß)
| F. Schmidt in seinem Büro auf Gut Allerhop
in den Fünfziger Jahren
(Quelle: Axel Eggersglüß)
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Auch zwei Traktoren wurden mit dem Bihugas betrieben. Durch Kompression
wurde das Gas in Flaschen gepresst, so konnten die Traktoren 100 Kilometer
weit mit der Füllung von zwei Flaschen fahren.
Ferdinand Schmidt reiste in den Fünfziger Jahren sehr viel in Deutschland
umher, traf die Besitzer großer landwirtschaftlicher Güter und verhandelte
über den Bau von Bihugasanlagen. Sein Schwiegersohn, Dr. Walter Eggersglüß,
reiste ins Ausland, nach Ägypten und Lateinamerika, um dort die Idee
der Verwertung von landwirtschaftlichen Abfällen bekannter zu machen. In
El Salvador wurde eine entsprechende Anlage erbaut.
Am 15. Januar 1956 verstarb Ferdinand Schmidt völlig überraschend an einem
Herzanfall. Dieser Tod war für die Familie ein schwerer Schlag. Hinzu
kamen finanzielle Probleme, denn die Forschungen auf Gut Allerhop waren
sehr kostenintensiv und die Gewinne der Defu konnten diese Investitionen
nicht ausgleichen.
Ende des Jahres 1956 wurde das Gut schließlich an die Klosterkammer Hannover
verkauft. Dadurch wurde das Haus in Verden in der Marienstraße 3
zum Mittelpunkt der Familie.
Wohnhaus und Betrieb Marienstraße 3 in Verden
(Quelle: Axel Eggersglüß)
Erinnerungen
Mein Onkel Klaus, Mitarbeiter in der Firma, erzählte von dem guten Betriebsklima,
das auch durch Ferdinand Schmidts Führungsstil beeinflusst
wurde. Als Respektsperson verlangte er Engagement von seinen Angestellten,
hatte ihnen gegenüber aber immer auch ein offenes Ohr.
Ausflug der Firma Defu nach Allerhop, Anfang der Fünfziger Jahre
x1 F. Schmidt, x2 M. Schmidt
(Quelle: Axel Eggersglüß)
Jährlich veranstaltete die Firma ein großes Fest, welches den Zusammenhalt
der Mitarbeiter förderte.
In der Todesanzeige wurde ihm rühriger Geist, unermüdliche
Schaffenskraft und nie versagender Optimismus bescheinigt.
Auch in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten gab es bei der Defu
keine Entlassungen. Die Firma konnte sich deshalb immer auf ihren
guten Mitarbeiterstamm verlassen.
Meinen Großvater habe ich als tatkräftigen und lebhaften Menschen
in Erinnerung, der immer in irgendeiner Art und Weise mit etwas beschäftigt und
in Aktion war.
Seinen Sinn für Humor spiegelte eine Begebenheit wider, die sich
an einem Silvesterabend auf Gut Allerhop ereignete.
F. Schmidt und sein Enkel A. Eggersglüß in der Bar auf Gut Allerhop, 1953
(Quelle: Axel Eggersglüß)
Ferdinand hatte auf der Funkausstellung in Berlin, die
er regelmäßig besuchte, ein Tonbandgerät erworben. Das Mikrofon hierfür
versteckte er in der Lampe über dem Tisch der Bar. So wurden die Gespräche
der Gäste, die auf Gut Allerhop zu Besuch waren und auch dort übernachteten,
heimlich aufgezeichnet. Am nächsten Morgen saß ich mit am Frühstückstisch
und beobachtete das Staunen und Gelächter der Freunde, als er
die Aufnahme abspielte und alle noch einmal den feucht-fröhlichen Silvesterabend
Revue passieren ließen.
Anfang der Fünfziger Jahre kaufte mein Großvater einen Fernsehapparat.
Da das Gut Allerhop im Tal der Böhme liegt, war kein Empfang von der
Sendestation Hamburg möglich. Dieser Umstand bedeutete für Ferdinand
Schmidt kein Problem, hatte er doch die Defu mit Schlosserei und Schmiede.
So wurde ein etwa 30 Meter hoher Mast gebaut, mit dem ein guter Empfang
möglich war.
Ich erinnere mich dabei vor allem an die nachmittäglichen Kindersuchsendungen
des Roten Kreuzes, auch abends durften mein Bruder Bernd und ich
manchmal länger aufbleiben und mit den Großen fernsehen.
Durch den Tod meines Großvaters verlor ich als kleiner Junge einen sehr
geliebten Menschen. Aufzeichnungen und Fotos halten die Erinnerungen an
einen ganz besonderen Menschen wach.
Fußnoten
1 Ferdinand Schmidt – Maschinenfabrik und Apparatebauanstalt.
2 Gymnasium Verden, Höhere Maschinenbauschule in Hagen i. W., Technische Hochschule Hannover.
3 Das Kriegstagebuch 1914-1918 ist, ebenso wie die zahlreichen Fotos, bislang unveröffentlicht und
befindet sich im Familienbesitz.
4 Vgl. dazu die im Kreisarchiv Verden erhaltenen Akten zur Planung und Einführung einer Einwohnerwehr
im Kreisgebiet: KreisA Ver 3/19e, f und g.
5 Zum Kontext siehe den Sammelband Bremische Bürgerschaft & Staatsarchiv Bremen (Hg.), Novemberrevolution
und Räterepublik 1918/19. Bremen und Nordwestdeutschland zwischen Kriegsende und
Neuanfang, Bremen 2019 und Kuckuck, Peter unter Mitarbei von Ulrich Schröder: Bremen in der
Deutschen Revolution 1918/1919. Revolution, Räterepublik, Restauration, 2. Aufl. Bremen 2017.
6 Der Film ist im Internet verfügbar in der Filmothek des Bundesarchivs https://www.filmothek.bundesarchiv.
de/video/583645?set_lang=de, ab ca. Minute 2, Rubrik „Merkwürdige Berufe“.
Diese Arbeit wurde zunächst im Jahrbuch für den Landkreis Verden 2022 veröffentlicht.
Die Texte und die enthaltenen Informationen dürfen ohne Einverständnis der Autoren
nicht anderweitig verwendet oder weitergegeben werden.
Q u e l l e n
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