G e d e n k e n
Artikel der Verdener Nachrichten vom 4.11.2015:
Wo einst der Hofmeister begraben lag
Verden von unten: In der Krypta des Verdener Doms wurden früher Menschen beigesetzt
VON ANNA ZACHARIAS
Verden.
Domführer Ludwig Grupe geht durch das schwarze Tor mit den goldenen Buchstaben
Alpha und Omega zwei Stufen hinab und räumt erst einmal mit einem Missverständnis
auf: „Dies hier ist keine Krypta“, sagt er. Eine Krypta habe es nur in romanischen
Kirchen unter dem Altarraum gegeben, erklärt Grupe, der jetzt unter den
frühgotischen Rippen des Gewölbes steht. Im Jahr 1967 wurde dieser Raum als
Gedenkraum eingerichtet.
Nach einem großen Brand im Jahr 1268, bei dem der romanische Dom zerstört wurde,
wurde der Kreuzgang um 1280 wieder aufgebaut. Neben dem Kreuzgang befand sich
früher das Dormitorium (Schlafräume) des Klosters, auch dieses wurde wieder
aufgebaut. Aber eigentlich, meint Grupe, sei das auch gar kein Kloster gewesen,
denn: „Ein Kloster hat immer einen Abt“, klärt er auf. Diesen habe es in Verden
nämlich nicht gegeben, allerdings hätten hier Mönche gelebt.
Über die Funktion des heutigen Gedenkraumes muss der Domführer spekulieren.
Er nimmt an, dass hier das Offizium, das Stundengebet, untergebracht war,
außerdem könnte der fast quadratische Raum als Lagermöglichkeit gedient haben,
sagt er. Aber auch Bestattungen hätten hier stattgefunden.
Leben im Exil
Beerdigt wurde hier beispielsweise im Jahr 1719 der Hofmeister der Herzogin
Charlotte von Livland, der Baron von Amacone. Die Herzogin war Äbtissin im
Reichsstift Herford und starb 1728 in Verden. Die aus Litauen stammende Herzogin
lebte offenbar aufgrund von Erbstreitigkeiten mit ihrem Hofstaat im Exil im Verdener
Ackerbürgerhaus. Ihr Vater war Jakob Kettler, Herzog von Kurland. Die Gebeine der
Begrabenen liegen hier allerdings nicht mehr. „1756 waren die Franzosen im Dom,
in dieser Zeit sind die Gräber wahrscheinlich zerstört worden“, sagt Grupe.
Der Fußboden des Gedenkraums lag damals 1,50 Meter tiefer als heute, wie auch
das Bodenniveau der Umgebung tiefer lag. Seit 1967 sind als vier quadratische
Felder Steine in den Boden eingelassen, die an die Toten der Kriege von 1870/71,
des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die unbekannten Opfer erinnern.
Grupe stellt sich vor einen länglichen Gedenkstein mit der Inschrift 1733, der
rechts vom Eingang an der Wand angebracht ist. Links ist der Erzengel Gabriel neben
Maria abgebildet, klein ist auch eine weitere Jahreszahl zu erkennen: 1586. Es soll
sich Grupe zufolge um einen Grabstein oder ein Denkmal auf dem Friedhof gehandelt
haben. „Im Jahr 1733 wurde er dann wahrscheinlich als Hausstein verwendet“, erklärt der
Domführer. An der gegenüberliegenden Wand hängt ein ähnlicher Stein, auf dem das
Jahr 1610 zu lesen ist. Er erinnert an die 3000 Pesttote Verdens. „Sie wurden hier
hinter der Stadtmauer bestattet“, sagt Grupe und zeigt in Richtung der vergitterten
Fenster, hinter denen das Rasengrün hervorschimmert. Von außen lässt sich anhand
der nur halb aus dem Boden ragenden gemauerten Fensterbögen erkennen, dass der
Raum einmal tiefer gelegen hat.
Vom Gedenkraum geht es durch den alten Kreuzgang und dann durch die Eingangstür
zurück zum Lugenstein – rund 1,50 Meter über den Ereignissen, die sich im Dom zu
Verden einst zugetragen haben.
In der Serie „Verden von unten“ beleuchten die VERDENER NACHRICHTEN die Welt
unter dem Landkreis Verden. Redakteure besuchen unterirdische Gänge und modernde
Kellergewölbe, die dem Auge sonst verborgen bleiben.
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